Der niedersächsische Neonazi Kevin Arbeit ist vor dem Amtsgericht Chemnitz wegen gefährlicher Körperverletzung und schwerem Landfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, während eine andere Bewährungsstrafe in das Strafmaß mit eingerechnet wurde. Im Prozess wurden Bezüge zu weiteren bekannten Neonazis deutlich, die sich während des Prozesses im Umfeld des Gerichtes bewegten.
Arbeit wurde vorgeworfen, Teil einer zehn- bis zwölfköpfigen Gruppe gewesen zu sein, die im Nachgang des rassistischen Großaufmarsches am 27. August 2018 in Chemnitz das jüdische Restaurant Schalom sowie dessen Inhaber Uwe Dziuballa mit Steinen und Flaschen beworfen zu hatte. Dziuballa selbst, der an dem Abend nach einer Veranstaltung noch einmal vor die Tür getreten war, wurde von dem Angriff überrascht und von einem der vermummten Männer mit einem Stein an der Schulter getroffen. Am Restaurant konnten die Neonazis nur kleine Schäden verursachen, weil der Wirt aus seiner Erfahrung mit rechten Angriffen in der Vergangenheit Sicherheitsglas verbaut hatte.
DNA-Spur führte nach Nord-Niedersachsen
Die Polizei, welche am Tatabend noch Spuren vor dem Lokal gesichert hatte, konnte auf den Steinen, Flaschen und einem 64 cm langen Metallrohr zunächst mehrere DNA-Spuren sichern, diese aber keiner bekannten Person zuordnen. Das änderte sich, als die Polizei Kevin Arbeit auf einem Hardstyle-Festival im nordrhein-westfälischen Hünxe 2019 beim Dealen mit synthetischen Drogen erwischte. Bei einer auf den erfolgreichen DNA-Abgleich folgenden Hausdurchsuchung in der von Arbeit bewohnten Doppelhaushälfte in Wiegersen südlich von Hamburg fand die Polizei schließlich dessen Handy. Darauf befanden sich neben Propaganda-Schriften wie „Eigenschaften und Pflichten eines SA-Mannes“ auch ein Chat, in dem sich Arbeit mit dem thüringischen Neonazi Leon Ringl für den 27. August 2018 in Chemnitz verabredet hatte.
Ringl trotz Verabredung am Tattag nicht als Zeuge geladen
Dass Arbeit und auch Ringl am besagten Tag in Chemnitz gewesen sein müssen, scheint bewiesen. Allein deshalb hätte Ringl eigentlich als Zeuge geladen sein müssen. Auf Fotos der Demonstration lassen sich die beiden allerdings nicht entdecken. Auch eine als Zeugin geladene Polizeibeamtin, die Videoaufnahmen ausgewertet hatte, konnte Kevin Arbeit nicht auf den Behördenaufnahmen finden. Die Vermutung liegt also nahe, dass sich Ringl und Arbeit zusammen mit weiteren Neonazis, die sich in dem gut dokumentierten Netzwerk um aktionistische neonazistische Kampfsport- und Hooligan-Gruppen aus Thüringen, Niedersachsen und Sachsen finden lassen dürften, außerhalb der Demonstration getroffen hatten, um unter dem Radar von Presse und Polizei gezielte Angriffe zu begehen. Dass Ringl, der in Eisenach die Szene-Bar „Bull‘s Eye“ betreibt und u.a. mit den Gruppen „Nationaler Aufbau Eisenach“ und „Knockout 51“ Antifaschist*innen in seiner Heimatstadt terrorisierte, ein stark ideologisierter Antisemit ist, zeigte ein Leak des 2018 abgeschalteten internationalen Neonazi-Forums „Ironmarch“. Unter dem Namen „Antidemokrat“ hatte er den Holocaust befürwortet und angegeben, jüdische Menschen auf eine Insel deportieren zu wollen. In dem Forum hatte er ebenfalls Kontakt zur US-amerikanischen NS-Terrororganisation „Atomwaffen Division“ gesucht, deren deutschen Ableger Ringl schließlich versuchte aufzubauen.
Dresdner Nebenkläger chauffiert Chemnitzer Angeklagten
In dem ebenfalls heute gestarteten Prozess gegen die Leipziger Antifaschistin Lina E. in Dresden tritt Ringl als Nebenkläger auf. E. wird unter anderem vorgeworfen, Angriffe auf Ringls Kneipe „Bull‘s Eye“ verübt zu haben. In Dresden ließ er sich heute durch den extrem rechten Chemnitzer Rechtsanwalt Martin Kohlmann (Vorsitzender von Pro Chemnitz/Freie Sachsen) vertreten. Dieser war offenbar kurzfristig für den eigentlich eingesetzten Anwalt Manuel Tripp aus dem sächsischen Geithain eingesprungen. Ringl hielt sich währenddessen allerdings in Chemnitz auf und brachte Kevin Arbeit mit dem Auto zu seinem Prozess und holte ihn anschließend wieder ab. Mit im Auto saß Arbeits langjähriger Kamerad Dennis Brandt. Dass die beiden nicht als Zuschauer mit in den Gerichtssaal kamen, begründet sich vermutlich in Arbeits Taktik, keine Szenebindung erkennen zu lassen. Der 30-Jährige schwieg zu den Vorwürfen, hatte offensichtlich keine Unterstützenden unter den Zuschauenden und ließ sich darüber hinaus statt von einem rechten Szeneanwalt von einem Pflichtverteidiger aus seinem Nachbardorf vertreten. Dass Kevin Arbeit allerdings auf eine lange neonazistische Vergangenheit zurückblicken kann, zeigt nicht nur seine frühere Mitgliedschaft bei der niedersächsischen JN.
Neonazi-Geschichte auch beim Chemnitzer Rechten Plenum
Kevin Arbeit sowie Dennis Brandt verfügen über Kontakte nach Chemnitz, die mindestens bis 2015 zurückreichen. Damals hatten mehrere, teils aus Niedersachsen zugezogene Neonazis, versucht, aus dem Stadtteil Sonnenberg eine „National Befreite Zone“ zu machen. Unter dem Namen „Rechtes Plenum“ agierte die Gruppe etwa ein Jahr lang unter der Führung des Hannoveraners Patrick Kruse und fiel in der Zeit durch Schmierereien und mehrere Gewalttaten auf. Die Gruppe stach besonders durch ihre Repräsentation in sozialen Medien heraus, wofür sie regelmäßig überregionale Kamerad*innen zu Foto- und Videoaufnahmen nach Chemnitz lud. Kevin Arbeit und Dennis Brandt nahmen mehrmals hieran teil und konnten sich so mit den mittlerweile verstorbenen Neonazi-Aktivistinnen Mary-Ann Radke und Nicki Schwake sowie vermutlich auch mit dem Organisator des NS-Kampfsportturniers „Tiwaz“, Tim Kühn, und Personen aus der neonazistischen Hooligan-Szene wie Rick Bochert vernetzen.
Ob die festgestellten DNA-Spuren von der Chemnitzer Tatnacht noch weiteren Personen zugeordnet werden können, bleibt offen. Immerhin laufen noch Ermittlungen gegen Unbekannt. Das Urteil gegen Kevin Arbeit ist noch nicht rechtskräftig.