Am Montag den 20.04.2020 versammelten sich bis zu 300 Rechte in Chemnitz, um gegen eine angebliche „Corona-Diktatur“ zu demonstrieren. Der 20. April, der Geburtstag Hitlers, ist nicht nur für Demonstrationen und Veranstaltungen ein beliebtes Datum, sondern es werden jedes Jahr auch besonders viele Straftaten an diesem Tag verübt.
Die Kundgebung vom 20.04.2020 zu Beginn (Quelle: flickr Ruben Dörfler)
Die von der extrem rechten Wählervereinigung Bürgerbewegung Pro Chemnitz angemeldete Versammlung wurde zunächst von der zuständigen Versammlungsbehörde verboten. Dieses Verbot kippte das Verwaltungsgericht und genehmigte eine stationäre Kundgebung unter Auflagen. Diese ließen u.a. nur eine Teilnehmendenzahl von 15 Personen zu, verpflichteten zu Mundschutz und einem Mindestabstand der Teilnehmenden von zwei Metern. Geplant war ursprünglich eine deutlich größere Versammlung, für die 500 Teilnehmenden angemeldet und elf Redner von Pro Chemnitz, AfD, NPD und extrem rechten Heimatvereinen angekündigt waren.
Unterstützung erhielten sie unter anderem durch weitere Mitglieder und Anhänger von Pro Chemnitz wie Reiner Drechsel, Michael Wittwer und Rijad Lessig. Zudem war auch Pro Chemnitz-Stadtrat Bernd Arnold zugegen und streamte die Veranstaltung auf YouTube. Der gleiche Personenkreis von Pro Chemnitz war bereits 2018 in die Organisation der Demonstrationen eingebunden und repräsentiert die selbsternannte Bürgerbewegung seither auf extrem rechten und verschwörungsideologischen Demonstrationen.
Madeleine Feige wird abgeführt (Quelle: flickr Simon Berger)
Auch der Dresdner Rechtsanwalt Jens Lorek bewegt seit 2018 im Umfeld von Pro Chemnitz. Er besuchte ebenfalls am Montag bei die Kundgebung und trat wie schon mehrmals in der Vergangenheit als Ordner auf. Begleitet wurde Lorek von den beiden Aktivistinnen Madeleine Feige von der Wellenlänge Heidenau und der reisefreudige Freitalerin Katja Kaiser. Feige wurde im späteren Verlauf der Kundgebung von der Polizei abgeführt. Ein sonst üblicher Livestream von Kaiser scheiterte an der gesperrten Facebookseite der Wellenlänge.
Die Versammlung zeigte erneut die Verbindungen von Pro Chemnitz ins neonazistische Parteienspektrum auf. So war bereits im Vorfeld der NPD-Stadtrat Stefan Hartung aus Aue als Redner angekündigt. Mit Peter Schreiber (ebenfalls NPD) war zudem der Chef der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme vor Ort und filmte für das Videoformat DS-TV.
Neben NPD und Pro Chemnitz, Heimattreue Niederdorf und der Zwickauer Vereinigung Zukunft Zwickau sollten mit dem Stollberger Stadtrat Jan Fritzsche und dem Lößnitzer Gemeinderat Matthias Henke eigentlich zwei Vertreter der AfD aus dem Erzgebirge das Rednerfeld komplettieren, doch dazu kam es nicht. Der Grund liegt vermutlich in der geringen Teilnehmendenzahl und besonders in der begrenzten Veranstaltungsdauer von einer Stunde, die die Auflagen vorschrieb.
Leon Kozma (JA Chemnitz) wird von der Polizei abgeführt (Quelle: flickr Simon Berger)
Stattdessen versammelten sich Chemnitzer AfD-Vertreter im gegenüberliegenden Stadthallenpark. Vertreten wurde die AfD durch die Chemnitzer Stadträte Nico Köhler und Lars Kuppi (zudem Mitglied des sächsischen Landtages), die Mitglieder der Jungen Alternativen Chemnitz Sören Schwarzer und Leon Kozma sowie den Bundestagsabgeordneten und AfD-Kandidaten für die Wahl zum Chemnitzer Oberbürgermeister Ulrich Oehme. Im Umfeld der Kundgebung spielten sich skurrile Szenen ab, als Stadtrat Kuppi vergeblich versuchte, eine Spontankundgebung mit fünf Teilnehmenden anzumelden. Mehrere AfDler legten sich später mit der Polizei an, woraufhin diese Kozma in Gewahrsam nahm. Nico Köhler und Lars Kuppi versuchten daraufhin dessen Festsetzung zu vereiteln, indem sie den Beamten hinterher liefen. Dabei kam es zu einem kurzen Handgemenge mit der Polizei.
Im Nachgang behauptete die AfD auf Facebook, nur zur Beobachtung vor Ort gewesen zu sein. Durch die geplanten AfD-Redner, Kuppis versuchte Anmeldung einer Spontankundgebung und die Auseinandersetzung der weiteren Vertreter mit der Polizei muss sich die AfD den Vorwurf gefallen lassen, einen aktiven Teil zum Versammlungsgeschehen geleistet zu haben. Auch Matthias Henke geriet später noch mit der Polizei aneinander und wurde von Beamten abgeführt.
Der Lößnitzer AfD-Gemeinderat Matthias Henke im Handgemenge mit der Polizei (Quelle: Screenshot YouTube RT Deutsch)
Schon als im Vorfeld der Versammlung klar wurde, dass nur 15 Personen teilnehmen dürfen, hatte Pro Chemnitz auf ihrer Facebook-Seite dazu aufgerufen, trotz dessen zum Versammlungsort zu kommen. Diesem Aufruf folgten bis zu 300 Personen aus dem rechten Spektrum, die von der Polizei zwar nicht zum Karl-Marx-Monument vorgelassen wurden, sich aber dicht gedrängt in direkter Umgebung aufhielten und sich zum Teil Scharmützel mit der Polizei lieferten. Darunter befanden sich zahlreiche Neonazis, wie der Organisator des neonazistischen Kampfsporttuniers Tiwaz Tim Kühn, der vom Dortmunder Kampfsportler Marvin Esterholz begleitet wurde. Weitere Informationen zu beiden finden sich bei „Runter von der Matte“.
Marvin Esterholz (mit Cap, links) und Tim Kühn (Mitte) (Quelle: flickr Simon Berger)
Auch eine kleine Abordnung aus dem Umfeld der rechten Ultra-Gruppe Kaotic Chemnitz um den Neonazi Steve Plöger war vor Ort, ebenso wie Robert Käthner, der dem Umfeld der mittlerweile verbotenen Kameradschaft Nationale Sozialisten Chemnitz zuzurechnen ist. Käthner nimmt weiterhin regelmäßig an neonazistischen Demonstrationen teil und hält sich darüber hinaus oft als Beobachter im Umfeld verschiedener, auch nicht-rechter Versammlungen auf. Zuletzt nahm Käthner am geschichtsrevisionistischen Aufmarsch in Dresden vom 15. Februar 2020 teil. Zwei weitere Teilnehmer dieses Aufmarsches in Dresden waren nun auch im Umfeld der Versammlung von Pro Chemnitz vom Montag zusammen unterwegs und beobachteten das Geschehen: Der Dresdener Neonazi-Hooligan Sebastian Reiche, der am Connewitz-Überfall 2016 beteiligt war, und der Chemnitzer Rechtsrockhändler Yves Rahmel.
Besonders aggressiv zeigte sich eine Gruppe von Security-Mitarbeitern der Chemnitzer Firma Authentix um den Neonazi Julius Tietze, der von der Polizei in Handschellen abgeführt wurde, nachdem er eine Flasche auf die Einsatzkräfte geworfen haben soll. Mit Jannett Müller war eine weitere rechte Person anwesend, die in der Security-Branche tätig ist. Wie auf jeder rechten Versammlung in Chemnitz durfte auch die Antisemitin und Verschwörungsideologin Rashida Winkelhag nicht fehlen, die gleich zu Beginn einen Platzverweis erhielt und dem rechten Compact-Magazin ein Interview gab. Die Kundgebung wurde begleitet von zahlreichen vermeintlich „alternativen“ Streamern und Videoteams. Neben DS-TV, Compact TV und Bernd Arnold berichteten die russischen Staatsmedien Sputnik und RT Deutsch über die Kundgebung.
Während sich die Umstehenden weigerten, den Platzverweisen der Polizei Folge zu leisten, sprachen auf der offiziellen Versammlung Robert Andres, Martin Kohlmann und Stefan Hartung. Kohlmann tat sich dabei mit Verschwörungserzählungen hervor und behauptete, dass das Corona-Virus nur erfunden sei, um das Volk in Angst zu versetzen und es somit beherrschbar zu machen. Zudem phantasierte Kohlmann von Zwangsimpfungen, bei denen ominöse Chips in den Körper implantiert würden, um die Bevölkerung zu überwachen.
Die Polizei berichtete in ihrer Medieninformation später von Anzeigen wegen Verstoßes gegen die Corona-Schutzverordnung gegen 40 Personen. Darüber hinaus wurden gegen zwei Teilnehmer Anzeigen wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gefertigt, einmal wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung sowie einmal wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Laut T-Online News handelte es sich dabei um eine Person, die den verbotenen Kühnengruß zeigte. Beobachtende berichteten darüber hinaus von mehreren Hitlergrüßen am Rande der Ansammlung.
Nach dem Ende der Versammlung in der Innenstadt trafen sich mehrere TeilnehmerInnen in der Brauhausstraße 6. Dort betreibt Rechtsanwalt Kohlmann seine Kanzlei und das Erdgeschoss wird von Pro Chemnitz-Anhängern als regelmäßiger Treffpunkt genutzt. Da diese Zusammenkunft ebenfalls einen Verstoß gegen die Corona-Verordnung darstellte, kam es zu einem weiteren Polizeieinsatz, bei dem die Einsatzkräfte den Anwesenden Platzverweise erteilten. Wie viele Personen sich tatsächlich zu diesem Zeitpunkt in dem Haus aufhielten, kontrollierte die Polizei nicht.
Bereits für Freitag (24.04.2020) ruft Pro Chemnitz zu einer erneuten Kundgebung auf und will sich bis dahin vor den Gerichten mehr Teilnehmende erklagen.
Dutzende Rechte stehen dichtgedrängt in direkter Nähe zur eigentlichen Versammlung (Quelle: flickr Ruben Dörfler)
Die Versammlung am Montag hat erneut gezeigt, dass es Pro Chemnitz immer wieder schafft, eine Mischung unterschiedlicher extrem rechter Akteure von der AfD bis hin zu gewaltaffinen Neonazis zu mobilisieren. Die Polizei war außerhalb des Versammlungsbereichs nicht in der Lage, die Auflagen der Versammlung durchzusetzen und ließ sich von den Rechten auf der Nase herumtanzen.
Diese standen dicht gedrängt vor den Polizeiketten, skandierten Parolen und konnten durch die laute Anlage der eigentlichen Kundgebung trotzdem zuhören und letztendlich teilnehmen. Die Redner heizten die Stimmung dabei immer wieder provokant auf. Damit wurde insgesamt nicht nur gegen die Versammlungsauflagen verstoßen, sondern auch gegen die allgemeinen Corona-Bestimmungen. Der Polizeieinsatz gegen am Rand stehende Personen ermöglicht es Pro Chemnitz, eine Opferrolle einzunehmen und weiterhin das Narrativ des „durch die Corona-Maßnahmen unterdrückten Volkes“ zu verbreiten.
Sofern die für Freitag angemeldete Demonstration nicht verboten wird, dürfte sie unter diesen Vorraussetzungen noch einmal mehr Personen mobilisieren und zwar unabhängig von der laut Auflagenbescheid zulässigen Personenanzahl. Das erhebliche Infektionsrisiko, das durch die Ansammlung hunderter unvorsichtiger und dicht gedrängt stehender Rechter entsteht, nehmen die vereinten rechten Parteien und Gruppierungen offenbar billigend in Kauf, um erneut Schlagzeilen zu machen und ihre eigene Agenda voranzutreiben.