Hintergründe zu Netzwerk und Strukturen
In Chemnitz demonstrierte am vergangenen Montag, dem 18.02.2019, das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ gegen ein geplantes „Bürgerzentrum“ der extrem rechten „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“. Zum Abschluß der Demonstration fand sich diese am Gebäude der Brauhausstraße 6 im Chemnitzer Zentrum ein, in dem seit Ende 2018 Umbaumaßnahmen durch Pro Chemnitz stattfinden. Es sammelten sich etwa 25 Anhänger, um die Demonstrierenden zu beschimpfen. Darunter langjährige Neonazis. Dieser Text beleuchtet die personellen Verbindungen von Pro Chemnitz zu lokalen Neonazis.
Im Zentrum der Bewegung und Besitzer des Hauses in der Chemnitzer Brauhausstraße 6 steht Martin Kohlmann. Kohlmann, seit 1999 im Chemnitzer Stadtrat und Gründer sowie Vorsitzender der „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“, war Hauptinitiator der extrem rechten Aufmärsche in Chemnitz vom Spätsommer 2018 und hat eine lange Vergangenheit in extrem rechten Strukturen. Er begann sein politische Karriere bei den Republikanern, wechselte 2006 in die DSU, bevor er 2009 „Pro Chemnitz gründete. Als Anwalt verteidigt er immer wieder einschlägige Neonazis, wie einen Angeklagten der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“, den Holocaustleugner Günther Deckert, den Reichsbürger Adrian Ursache, sowie weitere Neonazis, die z.B. wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor Gericht stehen. In seinem Plädoyer im Prozess der „Gruppe Freital“ sagte er, er hoffe, dass sich seine Worte für die Richter nach einem Systemwechsel strafverschärfend auswirken werden.
Bei den Aufmärschen im Spätsommer 2018 trat Kohlmann regelmäßig als Redner auf und fiel durch äußerte sich dabei mehrmals stark rassistisch. Er verteidigte die Handlungen der Gruppe „Revolution Chemnitz“, mit dem Verständnis, dass „man ein bisschen Frust ablassen wolle“. Dass Kohlmann als Vorsitzender einer vermeintlich rechtspopulistischen „Bürgerbewegung“ offen mit Neonazis paktiert, ist nicht neu. 2005 meldete Kohlmann den allerersten Nazi-„Trauermarsch“ Chemnitz‘ anlässlich der Bombardierung zum 5. März 1945 an. Später entwickelte sich daraus über Jahre ein Großaufmarsch neonazistischer Kameradschaften und Parteien, an dem Kohlmann auch weiterhin teilnahm. 2009 marschierte er gemeinsam mit Kameradschaftern aus dem Erzgebirge am Fronttransparent des Trauermarsches. Bereits 2013 meldete er Kundgebungen und Demonstrationen an der Erstaufnahmeeinrichtung am Adalbert-Stifter-Weg in Chemnitz an. Am 18.03.2018 fiel er als Redner einer extrem rechten Kundgebung in Potsdam auf, die anlässlich des „Tages der politischen Gefangenen“ von lokalen Kameradschaften organisiert wurde.
Zudem war Kohlmann Teil des „Volkstanzkreis Cossen“, einer völkischen Gruppe mit Mitgliedern aus der Neonaziszene und Neuer Rechten, die sich mehrmals im Jahr zu Veranstaltungen auf einem Bauernhof des Neonazis Martin Wolf in Cossen trafen und dort völkische Feste mit Netzwerkcharakter feierten. Auf dem gleichen Hof fanden auch Treffen der HDJ-Nachfolgeorganisation „Sturmvogel“ statt.
Einer der engsten Vertrauten von Martin Kohlmann ist Robert Andres, der als Mitarbeiter der Stadtratsfraktion von Pro Chemnitz arbeitet und bei den Aufmärschen in Chemnitz des Spätsommers 2018 teilweise als Anmelder und Redner auftrat. In der Vergangenheit war er öfter auf Neonazidemos zu sehen, so beispielsweise bei einer Demonstration der Jungen Nationaldemokraten / Jungen Nationalisten (JN, Nachwuchsorganisation der NPD) in Döbeln 2013, an der er mit einer Gruppe von Chemnitzer Neonazis teilnahm.
Durch seine Arbeit bei Pro Chemnitz versucht sich Andres als konservativer, bürgerlicher Politiker zu inszenieren, doch im Hintergrund ist er gut in der Neonaziszene vernetzt. Im Juni 2018 war er beim neonazistischen Kampfsportevent „TIWAZ“ in Grünhain-Beierfeld anwesend. Auch beim „Kampf der Nibelungen“ vom 13.10.2018 in Ostritz war Andres zugegen und fuhr den blauen VW-Bus von Martin Kohlmann, in dem auch Eric Fröhlich und Max Hetzner (Kämpfer für das „TIWAZ“-Team) saßen.
Zudem gehört Robert Andres zusammen mit Eric Fröhlich zum Kreis der Organisatoren neonazistischer Zeitzeugenvorträge im Umland von Chemnitz, bei denen Wehrmachtssoldaten und Holocaustleugner vor bis zu 250 Personen auftreten (beispielsweise Ursula Haverbeck am 03.02.2018 in Leubsdorf). Fröhlich hatte enge Kontakte zum Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU), u.a. zu den Unterstützern Thomas Starke und Ralf Wohlleben. In der 2014 verbotenen Kameradschaft „Nationale Sozialisten Chemnitz“ (NSC) nahm er die Rolle des Organisators im Hintergrund ein.
Seit vielen Jahren ist Tim Kühn in der Chemnitzer Neonaziszene aktiv. In jungen Jahren nahm er mit den „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ (NSC) an Demonstrationen teil.
2013 arbeitete er für die bayerische NPD als Security-Kraft bei mehreren Wahlkampfständen im Landtagswahlkampf. Als Fan des Chemnitzer FC war er Teil der neonazistischen Ultragruppe „NS-Boys“ und hatte deshalb zwischenzeitlich Stadionverbot. Bevor er vermehrt im Umfeld von Pro Chemnitz auftauchte, war Kühn Teil der Gruppe „Rechtes Plenum“, die 2016 versuchte, eine sogenannte „National befreite Zone“ in dem Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg zu schaffen.
Während der rassistischen Aufmärsche von Pro Chemnitz 2018 wurde Kühn in deren Organisation einbezogen. So fuhr er beispielsweise am 21.09.2018 Fahnen aus der Brauhausstraße zum Versammlungsort am Karl-Marx-Monument.
In den letzten Jahren begann sich Kühn zusätzlich im Bereich neonazistischer Kampfsportevents zu engagieren. Er gehört zu den Organisatoren des Kampfsportevents „TIWAZ“, das 2018 erstmals im sächsischen Grünhain-Beierfeld stattfand. In dieser Rolle war er beim Schild-und-Schwert Festival am 20.04.2018 in Ostritz für die Betreuung der Stände vom „Kampf der Nibelungen“ und von „TIWAZ“ zuständig. Auch beim „Kampf der Nibelungen“ vom 13.10.2018 war er mit dem „TIWAZ“-Team anwesend.
Am neonazistischen Kampfsportevent „TIWAZ“ 2018 nahm auch Stephan Heinl teil.
Zudem war er unter den Teilnehmern des sogenannten Trauermarschs der AfD vom 01.09.2018 in Chemnitz. Zusammen mit Robert Andres und Tim Kühn beobachtete Heinl die Kundgebung von „Aufstehen gegen Rassismus“ am 18.02.2019 auf dem Chemnitzer Marktplatz.
Bei der Stadtratswahl 2014 trat Stefan Ebert als Kandidat für die NPD an, für die er damals auch Beisitzer im Kreisvorstand war. Mit der NPD nahm Ebert an Neonazi-Demonstrationen teil, wie beispielsweise 2009 in der tschechischen Stadt Usti nad Labem.
Zur Kundgebung in der Brauhausstraße am 18.02.2019 kam Ebert mit einem Firmenwagen seines Arbeitgebers „Axel Wuttke“.
Verstärkung bekommt Pro Chemnitz aus Dresden durch Katja Kaiser von der extrem rechten „Bürgerinitiative Wellenlänge Heidenau“.
Kaiser war im Umfeld der rechtsterroristischen „Gruppe Freital“ aktiv und nahm an allen Prozesstagen als Zuschauerin teil. In Dresden ist Kaiser jeden Montag bei den PEGIDA-Aufmärschen präsent, wo sie regelmäßig damit auffällt, die anwesenden Gegendemonstrierenden zu provozieren und dabei alles in einem Livestream zu verbreiten. Livestreams fertigte Kaiser auch bei den Aufmärschen in Chemnitz 2018 an, für die sie regelmäßig aus Dresden anreiste.
In Dresden marschierte Kaiser am 15.02.2019 am Fronttransparent des Neonaziaufmarschs zum 74. Jahrestag der Bombardierung der Stadt.
Ebenso aus Dresden stammt der Rechtsanwalt Jens Lorek, der als PEGIDA-Anwalt einige Berühmtheit erlangte. Lorek ist ebenso wie Katja Kaiser regelmäßiger Teilnehmer der Demonstrationen von „Pro Chemnitz“, bei denen er versucht, Gegenprotest und anwesende Journalist*innen einzuschüchtern.
Dirk Volz ist ein neonazistischer Verschwörungstheoretiker, der bereits mehrfach wegen verschiedener Delikte vor Gericht stand, darunter Verstöße gegen das Versammlungsverbot sowie des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Unter dem Namen „Volkstanzgruppenopa“ schickte der Mandant von Rechtsanwalt Kohlmann Droh-Faxe u.a. an Gewerkschaften und Staatsanwaltschaften. Volz behauptet von sich selbst, er werde als Gefahr für die innere Sicherheit vom Verfassungsschutz beobachtet.
David Roth nahm an zahlreichen NPD-Veranstaltungen in Chemnitz teil, besonders im Jahr 2012, als der Chemnitzer Kreisverband gegen einen zugegezogenen ehemaligen Vergewaltiger Sturm lief. Zuletzt war er Teilnehmer der Pro-Chemnitz-Märsche im Spätsommer 2018.
Mario Weber machte Anfang 2017 von sich reden, als er mit einer Gruppe junger Syrer in einem Tunnel im Chemnitzer Heckertgebiet aneinander geriet. Ihm sei übel zugerichtet worden, fast habe er dabei ein Ohr verloren. „‚Weil sich die Jugendlichen in einer fremden Sprache unterhalten‘ und ‚eine bedrohliche Haltung eingenommen‘ hätten, ‚beschlossen wir, diese Gruppe zum Selbstschutz zu vertreiben‘, wird der 45-Jährige dort zitiert.“, hieß es damals in der Freien Presse. Außerdem stand Weber bereits wegen Volksverhetzung vor Gericht.
Rainer Drechsel ist von Beginn an einer der Mitstreiter bei Pro Chemnitz. Bei der Veranstaltung der neuen rechten Partei „Aufbruch neuer Patrioten“ (AdP) um Ex-AfD Politiker Andre Poggenburg in der Chemnitzer Heideschänke am 15.02.2019 war er als Vertreter der „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“ vor Ort. Der 75-jährige Bauingenieur trat 2009 und 2014 als Kandidat für Pro Chemnitz zur Stadtratswahl an.
Fazit
Pro Chemnitz versucht sich jeher einen bürgerlichen Anstrich zu verpassen. Ihre Mitglieder und Sympathisanten sind jedoch eng in die neonazistische Szene vernetzt und nehmen an deren Events teil oder sind sogar in deren Organisation eingebunden. Aus der Neonaziszene erhält Pro Chemnitz Unterstützung beim Ausbau des sogenannten Bürgerzentrums oder auch bei den Gegenaktivitäten zur Demonstration von „Aufstehen gegen Rassismus“ am 18.02.2019.
Pro Chemnitz sucht unterdessen den Schulterschluss zu weiteren Parteien der extremen Rechten. Beim Neujahrsempfang der neugegründeten Partei „Aufbruch deutscher Patrioten“ war Martin Kohlmann mit anwesend, um eine mögliche Zusammenarbeit ins Spiel zu bringen. Bei der Kandidat*innenwahl der AfD ließ sich Kohlmann als Kandidat für einen Listenplatz aufstellen, angeblich nur um bei der Veranstaltung Rederecht zu erhalten.
Als Frauke Petry Mitte Januar 2019 mit ihrer Partei „Die Blaue Wende“ eine Veranstaltung organisierte, war Robert Andres ebenso vor Ort – möglicherweise mit dem gleichen Ziel wie Kohlmann bei AdP. Dabei geht es der Rechtsaußenpartei nicht nur darum, ihre Leute für die anstehenden Wahlen in Stellung zu bringen, sondern sie stricken aktiv an einem regionalen Netzwerk. Aus Social-Media-Posts ist zu vernehmen, dass Pro Chemnitz sich jetzt bereits als stärkste Kraft bei der Kommunalwahl im Mai wähnt.
Um in der Zeit nach den Wahlen, bei denen zumindest mit einem erheblichen Stimmengewinn zu rechnen ist, möglichst schnell regional schwerwiegende Umstrukturierungen vornehmen zu können, werden weitreichende Kontakte bereits jetzt geknüpft. Spätestens seit ihren Großaufmärschen im Spätsommer 2018 bestehen gute Kontakte in die Szene extrem rechter Bürgerbündnisse im Chemnitzer Umland wie „Heimat & Tradition Chemnitz-Erzgebirge“ und „Heimattreue Niederdorf“. Aus den Teilnehmenden der Märsche hat sich darüber hinaus eine Basis von mehreren Dutzend Leuten zusammengefunden, die derzeit u. A. beim Ausbau des „Bürgerzentrums“ aushelfen. Dabei versuchen Kohlmann und Kameraden nicht nur auf rechte Organisationen Einfluss zu nehmen, sondern in der letzten Zeit auch auf zivilgesellschaftliche Initiativen der Stadt. Hier gilt es wachsam zu bleiben, um ihren möglichen Machtgewinn bei Wahlerfolgen so gering wie möglich zu halten.