Bei Exif – Recherche und Analyse erschien jüngst ein sehr detaillierter Artikel zum diesjährigen NS-Kampfsportevent Tiwaz am 08. Juni 2019 in Zwickau. Wir wollen an dieser Stelle einige Teile des Textes, in denen es um Chemnitzer Strukturen geht, dokumentieren. Der vollständige Text ist auf https://exif-recherche.org/?p=6105 zu finden.
„Während am 8. Juni 2019 der brutale Angriff von zwei rechten Hooligans auf einen schwarzen Türsteher auf Mallorca bundesweit für Schlagzeilen sorgte, trafen sich am selben Wochenende bis zu 400 Neonazis zum extrem rechten Kampfsportevent «Tiwaz» im sächsischen Zwickau. Unter ihnen auch Hooligans aus Erfurt, die mit den Schlägern von Mallorca zusammen trainieren, NSU-Unterstützer, sowie Aktivisten der «Identitären Bewegung» und «Jungen Alternative», wie Bilder von Pixelarchiv zeigen.
Der Austragungsort
Seit Monaten lief die Werbetrommel für die zweite Auflage des «Tiwaz». Im letzten Jahr hatten sich dafür bis zu 450 Neonazis im erzgebirgischen Grünhain-Beierfeld eingefunden. Auch in diesem Jahr fand die Organisation des Events konspirativ statt. Karten konnten für 15 Euro online und im rechten Chemnitzer Ladengeschäft «PC Records» von Yves Rahmel erworben werden. Hauptorganisator war, wie bei der Premiere 2018, der umtriebige Neonazi Tim Kühn aus Chemnitz. Sitzplätze seien vergriffen, doch Stehplätze würde es noch genügend geben, hieß es in den sozialen Netzwerken bis kurz vor dem Event. Da die Resonanz in der Szene im letzten Jahr überwiegend positiv war, erwartete das «Tiwaz»-Team offensichtlich eine hohe Zahl an Teilnehmenden. Dass letztlich nur um die 300 Gäste kamen – den Rest der Teilnehmenden machten Orga, Kämpfer und Teams aus – dürfte die finanzielle Ausbeute verringert haben. Die geringere Teilnehmerzahl hat jedoch keinen Einfluss auf die Identitätsstiftung und den Ausbau dieser Strukturen.
Die eigentlich angedachte Location wurde den Neonazis einen Tag vor dem Turnier entzogen. Vermutlich hatten die Behörden dem Vermieter Druck gemacht, worauf dieser das Mietverhältnis zurück gezogen haben soll. Einen Ausweichort fand man jedoch kurzfristig in Zwickau, Stadtteil Crossen, auf einem ehemaligen Industriegelände. Dort, am Rand des Plattenbaugebiets Zwickau-Eckersbach, unterhält der «Shoot Club Zwickau e.V» in der Crossener Straße 32 eine Outdoor-Anlage für Paintball-Spiele.
„Wir wussten, dass Boxkämpfe stattfinden sollten, mehr aber nicht.“, berichtete der Vorsitzende des Vereins der Lokalzeitung «Freie Presse» wenige Tage nach dem Neonazi-Event. Ob es sich bei dem Befragten um Lucas Nestmann handelt, der im Impressum des Webauftritts des Painball-Clubs zu finden ist, verrät die Zeitung nicht. Dabei könnte Nestmann die Kontaktperson zur «Tiwaz»-Crew gewesen sein. Auf seinem privaten Profil in den sozialen Netzwerken wimmelt es nur so von rechten Verschwörungstheorien und rassistischen Postings. Auch ist er dort mit Sanny Kujath aus Zwickau bekannt. Kujath ist ein über die Stadtgrenzen hinaus bekannter Neonazi der extrem rechten Partei «Der III. Weg». Schon im November 2018 war er in die Organisation eines Balladenabends für die «GefangenenHilfe» in Zwickau-Planitz eingebunden.
Abgeschirmt von dichten Bäumen, bot das Gelände in Crossen Platz für einige hundert Neonazis. Unter freiem Himmel war zentral ein offenbar notdürftig zusammengebauter Boxring platziert. Statt wie üblich auf Matten, sollten die Neonazis auf einem Industrieteppich kämpfen. Tatsächlich wäre das Event an diesem Ort und diesen Umständen bei schlechten Wetter ausgefallen. So aber bekam die «Tiwaz-Mannschaft» zahlreiche Komplimente, da die Location „außergewöhnlich“ gewesen wäre.
Die unterstützende Struktur
Am Eingang der Zufahrtsstraße regelte u. a. Benjamin Leine aus dem nordsächsischen Delitzsch die Parksituation, der u. a. im Umfeld der Neonazi-Gruppe «Rechtes Plenum» in Chemnitz aktiv war. Auch Max Hetzner aus Chemnitz – Kämpfer des «Tiwaz»-Teams auf dem «Kampf der Nibelungen» (KdN) im Oktober 2018 in Ostritz – war in dieser Funktion am Eingang eingesetzt.
Das KdN-Team, um Philipp Liebetrau, Marina Liszczewski, Jim Koal und Alexander Deptolla reiste bereits am Vorabend des Events nach Sachsen. Franz Pauße, der mittlerweile wieder in Thüringen wohnt, kam erst am Samstag an. Deptolla und Koal waren erst zwei Tage zuvor von ihrem jährlichen „Sauf-Urlaub“ wieder in Deutschland angekommen. Gemeinsam mit dem rechten Karlsruher Hooligan Benjamin Schiffer und dem Initiator des KdN, «Hammerskin» Malte Redeker, waren sie für eine Woche in Bulgarien.
Jörg Henning und Heiko Drews, sowie Lukas und Philipp Oertel aus Südthüringen waren mit ihrer NS-Straight-Edge-Gruppe «Wardon 21» u. a. für die vegane Verpflegung in Zwickau zuständig. Der Hauptinitiator dieser Gruppe, Manuel Eder aus Österreich, war auf dem «Tiwaz» nicht zugegen. Auf anderen Events betreute Eder auch den Stand der rechten Kampfsportmarke «Greifvogel Wear». Diese war für das «Tiwaz» auch in diesem Jahr als Unterstützer aufgelistet, ähnlich wie «White Rex», dessen Merchandise vor Ort zu erwerben war. Sicher ist auch, dass es einen Stand vom KdN gab, den Marina Liszczewski aus Dortmund betreute. Am selben Tisch hatte auch «Black Legion Wear» aus Cottbus sein Sortiment ausgelegt. Verkauft wurden die Produkte der Marke von Rocco Wieczorek.
«Der III. Weg» unterhielt dagegen an recht prominenter Stelle im Sitzplatzbereich einen Verkaufs- und Informationsstand. Die neonazistische Kleinstpartei war generell, im Ring wie auch im Publikum, personell stark vertreten. Neben Sanny Kujath und Manuel Ganser vom lokalen „Stützpunkt“ der Partei in Zwickau nahmen auch VertreterInnen aus dem Vogtland, Mittelsachsen und dem Westerwald an der Veranstaltung teil.
Die «GefangenHilfe» wiederum hatte nicht öffentlich angekündigt, das «Tiwaz» zu unterstützen. Vertreten wurde sie dennoch von Enrico Marx aus Sotterhausen (Sachsen-Anhalt). Er betreibt in seinem Wohnort die Neonazi-Location «Am Thingplatz», die hauptsächlich für die Durchführung von RechtsRock-Konzerten genutzt wird. Dort fand auch der erste «Heureka Kongress» von «Wardon 21» im Mai 2018 statt. Der weit vernetzte Marx nahm bereits am «Kampf der Nibelungen» im Oktober 2018 teil. Zum «Tiwaz» kam er allein und brachte ein Banner der «GefangenenHilfe» mit. In Zwickau selbst wird die bundesweit agierende Organisation maßgeblich von dem NSU-Unterstützer André Eminger vertreten. Makaber ist in diesem Zusammenhang, dass der Austragungsort des «Tiwaz» nur 1,5 km Luftlinie von der Frühlingsstraße 26 in Zwickau-Weißenborn entfernt liegt – dem letzten Unterschlupf der untergetauchten rechtsterroristischen Gruppe.
Wie angekündigt war auch «PC Records» aus Chemnitz vor Ort, in Vertretung u. a. durch Steve Geburtig. Er führt offiziell die Geschäfte des einflussreichen RechtsRock-Labels, während Yves Rahmel als eigentlicher Kopf des Labels bekannt ist. Das Label unterstützte die Veranstaltung nicht nur durch den Kartenvorverkauf, sondern ist auch Sponsor der Kämpfenden des «Tiwaz»-Teams. Banner von «PC Records» hingen gut sichtbar am Boxring.
Auch das riesige Banner, welches am Einlass der Veranstaltung präsent war, lässt sich auf Rahmel zurückführen. Schließlich hängt dieses, auf der „Presse, TV und Polizei“ ein unangekündigter Zutritt des Geländes untersagt wird, normalerweise am Einlass der Neonazi-Location in Torgau-Staupitz. Rahmel ist dort regelmäßig Organisator von RechtsRock-Konzerten.
Das «Tiwaz» – Nachfolgestruktur der verbotenen «Nationalen Sozialisten Chemnitz»
In der Orga-Crew des Kampfsport-Events – die «Tiwaz Mannschaft» – fand man auch in diesem Jahr zahlreiche regionale Multiplikatoren der extrem rechten Szene. Die bekannteste Person aus dem Kreis der «Tiwaz»-Organisatoren ist der Chemnitzer Neonazi Tim Kühn. Spätestens seit 2009 bewegte er sich im Umfeld der «Nationalen Sozialisten Chemnitz» (NSC) und war Teil der neonazistischen Fangruppierung «New Society / NS-Boys» beim Chemnitzer FC. Seine führende Rolle in der rechten Fanszene wurde u. a. bei der Beerdigung des Neonazi-Hooligans Thomas Haller im März 2019 deutlich. Dort wirkte er als Mittelsperson zwischen Familie und den Teilnehmenden des Trauermarsches. Schon als Teil der Neonazi-Gruppe «Rechtes Plenum» unterhielt er gute Kontakte in die extrem rechte Szene Dortmunds, die er bis heute pflegt. Im Spätsommer 2018, als «Pro Chemnitz» zahlreiche rassistische Aufmärsche in Chemnitz initiierte, übernahm Kühn ebenfalls organisatorische Aufgaben. Auch während des Aufmarsches «Tag der deutschen Zukunft» 2019, der eine Woche vor dem «Tiwaz» in Chemnitz stattfand, fungierte Kühn als Ordner und lokale Ansprechperson. Kühn trat bereits auf dem ersten extrem rechten «Schild & Schwert-Festival» im April 2018 in Ostritz, in enger Kooperation mit dem KdN-Team um Alexander Deptolla und Jim Koal, als Standbetreuer für das «Tiwaz» auf. Ebenso war er in Vertretung des «Tiwaz» als Teil der deutschen Reisegruppe ausmachbar, die zum rechten Kampfsportevent «Pro Patria Fest» im April 2019 nach Griechenland reiste.
Eine weitere Person aus der Orga-Crew des «Tiwaz», die auf eine lange Vergangenheit in der Chemnitzer Neonazi-Szene zurückblicken kann, ist Robert Andres. Er ist aktuell Fraktionsgeschäftsführer der extrem rechten Wählervereinigung «Pro Chemnitz» und ließ sich damit zum zweiten Mal für diese zur Kommunalwahl im Mai 2019 aufstellen. Andres gehörte dem engsten Kreis der 2014 verbotenen Kameradschaft «Nationale Sozialisten Chemnitz» (NSC) an, versuchte sich jedoch in den letzten Jahren nach außen ein Biedermann-Image zuzulegen. Als es im Spätsommer 2018 zu zahlreichen gewalttätigen, rassistischen Aufmärschen in Chemnitz kam, fungierte er als Anmelder und Redner. Er gehörte bereits im letzten Jahr der «Tiwaz»-Orga an und fuhr die «Tiwaz-Mannschaft» beim letztjährigen «Kampf der Nibelungen» ins ostsächsische Ostritz. Pikant: Der blaue VW-Bus, mit dem die «Tiwaz-Mannschaft» dort anreiste, gehört dem Fraktionsvorsitzenden von «Pro Chemnitz» im Chemnitzer Stadtrat, Martin Kohlmann.
Im Kern der NSC war auch Jörg Endesfelder aktiv. Er war ebenso Teil der Orga-Crew des «Tiwaz» am 8. Juni 2019 und ist lokalen Antifaschist*innen bereits als Gründungsmitglied des NSC-Vorgängers «Heimatschutz Chemnitz e.V.» bekannt. Tina Turra, Mitbegründerin dieses Vereins, nahm beim diesjährigen «Tiwaz» ebenfalls als Besucherin teil.
Mit Eric Fröhlich, der als Teil des «Tiwaz»-Teams bereits letztes Jahr beim «Kampf der Nibelungen» in Ostritz war, führen die Verbindungen nicht nur zu den NSC – wo er als Sprachrohr und Organisator fungierte – sondern auch zum NSU-UnterstützerInnenkreis. Fröhlich pflegte nachweislich Kontakte zu André Eminger und Ralf Wohlleben, mit dem er bis zum Auffliegen des NSU-Kerntrios über die Organisation von neonazistischen Veranstaltungen sprach. Gemeinsam mit dem bereits genannten Robert Andres organisiert Fröhlich zudem regelmäßig Zeitzeugenvorträge in Chemnitz und Umgebung u. a. mit der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck.
Für den Job, die blauen, roten und grünen Bändchen an Kämpfer, Teams und Teilnehmende auszuhändigen, waren auch Frauen in die Organisation eingebunden. Etwa Stephanie Sajovitz aus Mittelsachsen, die bei der Partei «Der III. Weg» aktiv ist. Dort ist sie u. a. Teil der Volkstanz-Gruppe und pflegt in dieser Funktion enge Kontakte zur Plauener Struktur der Partei. Zudem trat sie 2018 als Inhaberin eines Spendenkontos für die im August verstorbene Freibergerin Mary-Ann Radke in Erscheinung. Radke wurde auf dem diesjährigen «Tiwaz» ebenfalls mit einem eigenen Banner gedacht. Sie gehörte der 2016 selbstaufgelösten Chemnitzer Neonazi-Gruppe «Rechtes Plenum» an, war später führende Aktivistin der Partei «Der III. Weg» in Mittelsachsen und im letzten Jahr Teil der Orga-Crew des «Tiwaz».
Auch außerhalb der Struktur um die NSC waren weitere lokale Neonazis in die Organisation eingebunden. So auch Philipp Hoffmann. Er nahm 2018 beim «Tag der deutschen Zukunft» (TddZ) in Goslar stellvertretend für die Chemnitzer Strukturen das Front-Transparent der jährlich in einer anderen Stadt stattfindenden Aufmärsche entgegen. Beim diesjährigen TddZ im Juni in Chemnitz war Hoffmann letztendlich nicht anwesend, übernahm beim «Tiwaz» jedoch Security-Aufgaben.
Für die visuelle Aufarbeitung des Events war Benjamin Moses mit seinem extrem rechten Medienprojekt «Balaclava Graphics» zuständig. In seinem Wohnort Bautzen gehört er den „Freien Kräften“ an und fiel dort durch zahlreiche Gewalttaten auf. Auch in die Organisation des «Ostsächsischen Sport-und Familienfestes» ist er involviert und ist somit Teil der bundesweiten Vernetzung rechter Kampf- und Kraftsportler.
Eine eigene Security
Anders als im letzten Jahr ersichtlich, gab es bei dem jüngsten Event in Crossen eine eigene Security, die sich «Tiwaz Schutz Mannschaft» nannte. Am Einlass stand in dieser Funktion u. a. Toni Neukamm aus Glauchau bei Zwickau. Er gehört seit Jahren der lokalen, gewalttätigen Neonazi-Szene an. Schon sein Bruder gehörte zur Kameradschaft «Glauchauer Jungs», die beste Kontakte zur rechten Hooligangruppe «HooNaRa» pflegte. Ähnlich wie Tim Kühn ist Toni Neukamm im Sicherheitsgewerbe tätig, wo beide im rechten Security-Verband «Vereinigte Türsteher Ostdeutschland» organisiert sind. Neukamm gibt zudem Kraftsport-Kurse im Glauchauer «DC Gym», welches offensichtlich von dem Neonazi und Türsteher Christopher Brodhun betrieben wird.
Regional ist dieser Zusammenhang relevant, da er eine Schnittmenge zwischen Sicherheitsgewerbe, Kraft-und Kampfsport, Hooliganmilieu und organisierter Neonazi-Szene darstellt. So zählten nicht nur Kühn, Neukamm und Brodhun zu der Runde einer Weihnachtsfeier 2018 in einem griechischen Restaurant in Lichtenstein bei Zwickau, sondern auch der RechtsRock-Musiker und NSU-Bekannte Paul Morgenstern.
Stephan Heinl und einer seiner Begleiter zum «Tiwaz» 2018 und 2019 waren ebenfalls Teil dieser Feier. Zum diesjährigen «Tiwaz» fand man Heinl in fast der selben Konstellation an Personen wieder, wie 2018 in Grünhain-Beierfeld. Denn auch in diesem Jahr waren Max Woidtke, Jessica Haustein, Mandy Wild und Nico Groß Teil dieser Reisegruppe.
«Identitäre Bewegung» und Tarnverein aus dem Erzgebirge
Seit 2016 unterhält die «Identitäre Bewegung» (IB) mit «Haamitleit e.V.» ( „Heimatleute“) einen Tarnverein, mit dem die Neonazis an regionalen Festen teilnehmen und „Heimatabende“ organisieren. Einer, der den Verein in der Öffentlichkeit repräsentiert, ist der Neonazi Jan Riemann. Er trat schon als Stadtrat für die NPD in Lößnitz an und war beim «Tiwaz»-Turnier in Crossen als Security tätig.
Die Verbindung der IB, bzw. des «Haamitleit e.V.» zum Kampfsport lässt sich auch über das «Fightgym Gablenz» herleiten. Dort gehören etwa Max Eska von der IB, sowie Clemens Liebscher, Gründungsmitglied von «Haamitleit e.V.», dem Kern der Trainingsgruppe an. Auch der in der Satzung des «Haamitleit e.V.» verankerte Zusatz, dass das Vermögen des Vereins bei Auflösung an das «Fightgym Gablenz e.V.» übertragen werden soll, macht diesen Bund deutlich. Eska nahm schon 2018 am «Tiwaz» teil und kämpfte in diesem Jahr auch selbst. Michel Günther, der ebenfalls der IB Erzgebirge zugerechnet wird, nahm unterdessen als Besucher teil.